Warum Assad gestürzt werden soll

Die Frage nach dem Sturz Assads ist die Frage nach den Hintergründen des westlichen Konzepts des regime-change. Eines vorab: Das hat überhaupt nichts mit Menschenrechten zu tun oder vielmehr nur so viel, wie dieses Menschenrechtsgefasel herhalten kann als mehr oder weniger fadenscheinige Begründung dafür, dass man den einen Despoten stürzen und den anderen stützen will. Und Assad gehört inzwischen zu denen der ersten Gruppe wie viele andere vor ihm auch. Die letzten, bei denen der Regime-change erfolgreich war, waren Saddam Hussein und Gaddhafi. Assad ist also nicht der einzige.

Dabei waren die Beziehungen des Westens zu Saddam und Assad lange Zeit gut bis freundschaftlich, wenigsten nach außen hin. Auch Gaddhafi hatte kurz vor seinem Sturz gerade erst vom Westen die Absolution erhalten, nicht mehr als Unterstützer von Terroristen zu gelten. Damit stand der Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen nichts mehr im Wege. Der frühere französische Präsident Sarkozy bezeichnete ihn sogar als „einen verlässlichen Partner für kommendes Wirtschaftswachstum und Wohlstand“ (faz-net 13.12.2007), empfing ihn mit höchsten Ehren und ließ für ihn sogar ein „beheiztes Beduinenzelt schräg gegenüber vom Elysée-Palast errichten“ (ebenda), damit er sich in Paris wie zuhause fühlt. Und nachdem der Bann des Förderer des Terrors gefallen, gaben sich auch die Deutschen alle Mühe, den Topf mit den fetten Aufträgen aus Libyen nicht alleine den Franzosen zu überlassen (SZ.de 17.5.2010).

Andererseits hofiert die Bundeskanzlerin die Saudis, die dschihadistische Gruppen im Syrienkrieg und Salafisten in Deutschland unterstützen und sogar einen völkerrechtswidrigen Krieg im Jemen führen. Auch „die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien gilt als desolat“ (faznet vom 30.04.17). Aber alles das wiegt nicht so schwer wie die strategische Partnerschaft mit dem Westen und vor allem die Wirtschaftsaufträge, mit denen die Saudis winken. Sie wollen ihr Land modernisieren und dazu „sollen Regierungs- und Wirtschaftsabkommen geschlossen werden, die Handelshemmnisse zwischen beiden Staaten abbauen“ (ebenda). Merkel wird dabei begleitet von einer „hochrangigen Wirtschaftsdelegation“ (ebenda).

Wie aus den Beispielen deutlich wird, geht es um Wirtschaftsbeziehungen bzw. die Aufträge, die im Zusammenhang mit den politischen Beziehungen zu einem Land realisiert werden können. Die führenden kapitalistischen Staaten sind in erster Linie an Geschäften interessiert, und die Exportnation Deutschland in ganz besonderem Maße. Sie alle wollen Gewinne machen, was weder verwerflich, noch böse und auch nicht unmoralisch ist.

Die weltumspannenden Konzerne produzieren so viel, dass die herkömmlichen Märkte mittlerweile zu klein geworden sind, um den Ausstoß der Fabriken aufzunehmen. Es müssen neue Märkte her, damit die Produktion abgesetzt werden kann. Allein die internationale Automobil-Industrie beispielsweise produziert 30% mehr Fahrzeuge, als der Weltmarkt aufnehmen kann. Ähnlich sind die Verhältnisse bei Stahl und vielen anderen Industrieprodukten. Der Kapitalismus droht an seinem Reichtum zu ersticken.

Das ist der Hintergrund von Merkels Reisen nach China oder unlängst nach Brasilien. Im Falle von Brasilien ging es „um gute Wirtschaftsbeziehungen. Aber es geht auch darum, das Land nicht in die Arme anderer Freunde zu treiben“(WELT/N24 vom 20.8.2015). „Denn Brasilien ist nicht nur das fünftgrößte Land der Erde, 30 Mal so groß wie Deutschland, 200 Millionen Einwohner, die achtgrößte Volkswirtschaft“ (ebenda). Und wie man den libyschen Markt nicht allein den Franzosen überlassen wollte, so will man an jedem Markt einen größtmöglichen Anteil haben. Denn die Konkurrenz unter den kapitalistischen Staaten, selbst wenn sie sich als Freunde bezeichnen, ist groß, und Freundschaft hat ihre Grenzen, wenn es um Marktanteile geht.

Etwas anders liegt der Fall in China. Auch hier ging es um Wirtschaftsverträge, aber auch um verbesserte Bedingungen des Marktzugangs für deutsche Unternehmen. Nun sind die deutschen Unternehmen in China nicht schlecht aufgestellt, aber ein beherrschendes Thema bei Wirtschaftsgesprächen mit der chinesischen Führung ist seit einiger Zeit die Gleichstellung ausländischer mit chinesischen Unternehmen am chinesischen Markt. Man fordert gleiche Bedingungen für ausländische und chinesische Unternehmen, keine Bevorzugung chinesischer bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Das heißt, man will die eigenen Marktanteile im Reich der Mitte ausweiten über den Zugang zu staatlichen Aufträgen.

Das ist eine andere Situation als in Brasilien oder gar Saudi-Arabien, wo die deutsche Wirtschaft zur Teilnahme am Marktgeschehen eingeladen wird. In China ist man schon sehr stark am Markt vertreten und will nun den wirtschaftlichen Einfluss ausweiten. Was aber geschieht, wenn die Führung eines Landes diesem Interesse einer fremden Wirtschaftsmacht nicht nachkommt? Welche Möglichkeit hat dann die fremde Wirtschaftsmacht, ihre Interessen durchzusetzen?

In den Zeiten des Imperialismus im 19. Jahrhundert wurde der Marktzugang oftmals mit militärischer Gewalt erzwungen, so geschehen in China und Japan, bekannt unter dem Begriff Kanonenbootpolitik. Damals wie heute richtet sich das Vorgehen derer, die mehr Marktmacht erzwingen wollen, nach dem Widerstand, der den Eindringlingen entgegen gesetzt wird.

Die Erfahrung des Imperialismus und Kolonialismus hatte aber auch gezeigt, dass eine dauerhafte Besetzung oder Beherrschung fremden Gebiets militärisch oftmals nicht zu gewährleisten oder mit sehr hohen Kosten verbunden war. Die Kolonialmächte gingen deshalb dazu über, Selbstverwaltung unter Kontrolle der Kolonialmacht zuzulassen und nur dann militärisch einzugreifen, wenn ihre Interessen auf dem Spiel standen. Dieses Konzept war langfristig erfolgreicher.

Die moderne Kononenboot-Politik aber besteht nicht mehr in der Anwendung militärischer Gewalt. Länder wie China, Russland oder der Iran sind zu groß, um sie dauerhaft militärisch zu besetzen. Selbst die Anwendung direkter militärischer Gewalt, um nur alleine die Marktöffnung zu erreichen, sind angesichts der Größe und wirtschaftlichen wie militärischen Stärke solcher Länder aussichtslos. Zudem sind diese Märkte Investoren ja nicht vollkommen verschlossen. Nur wollen die Regierungen dieser Länder die Entwicklung ihrer Wirtschaft und Gesellschaft nach ihren eigenen Interessen und Vorstellungen gestalten und dementsprechend sind die Auflagen, die an Investitionen gestellt werden. Das ist aber nicht im Interesse der führenden kapitalistischen Staaten, die einen möglichst unkontrollierten Zugang zu Märkten haben wollen.

Die moderne Kanonenboot-Politik besteht darin, diese Länder von innen zu destabilisieren mit Hilfe von Menschenrechts- und Demokratisierungskampagnen. Auf diesem Wege sollen Bevölkerungsgruppen in diesen Ländern für die Interessen des Westens zugänglich gemacht werden, indem sie sich mit den Inhalten dieser Kampagnen identifizieren. Zur Verwirklichung dieser Ziele sind besonders die vielen Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) hilfreich, die sich zwar neutral geben, in den meisten Fällen aber auf mehr oder weniger verschlungenen Wegen von westlichen Einrichtungen oder Parteien finanziert werden. Sie versuchen, innenpolitisch Einfluss auszuüben bis hin zu den zahlreichen Farbenrevolutionen, die in den letzten Jahren besonders die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion erschütterten. Diese politische Einflussnahme durch NGOs oder Stiftungen sind der Grund, weshalb sie in Russland, China und auch nach dem Arabischen Frühling in Ägypten in ihrer Betätigung stärker kontrolliert, eingeschränkt oder teilweise ganz verboten wurden.

Auch der Irak, Libyen und Syrien sind solche Staaten gewesen, die die Entwicklung ihrer Gesellschaft und Industrie wie aktuell auch Saudi-Arabien mithilfe des Westens, aber zu den eigenen Bedingungen vorantreiben wollten. Sie waren zudem auch reiche Staaten. Viele verfügten über hohe Einnahmen aus dem Ölgeschäft, hatten sogar wie Libyen Staatsüberschüsse im Gegensatz zu den meisten kapitalistischen Staaten, die zum Teil verschuldet sind bis zur Gefahr der Insolvenz. Hier war also etwas zu holen und das weckte Begehrlichkeiten, wären da nicht die renitenten Regierungen und Staatschefs gewesen, die zum Teil andere Vorstellungen hatten über die Verwendung der Staatseinnahmen als die westlichen Investoren und: wäre da nicht die UdSSR gewesen. Sie verfügte nicht nur über großen Einfluss im Nahen Osten sondern war auch allein durch ihre Existenz und geografische Nähe indirekt Garant der Unabhängigkeit dieser Staaten.

So verbot sich militärisches Vorgehen zur Umsetzung der eigenen wirtschaftlichen Interessen nicht allein aufgrund der Stärke dieser Staaten selbst sondern auch aufgrund der Konflikte, die mit der Sowjetunion hätten drohen können. Vorsicht und Zurückhaltung waren angebracht. Denn der Westen war nicht sehr beliebt im Nahen Osten und jeder unbedachte politische oder gar militärische Schritt konnte zu eigenem Verlust an Einfluss führen bei gleichzeitig wachsendem Einfluss der UdSSR, dem damaligen Hauptgegner der kapitalistischen Welt.

Was blieb, war die Arbeit im Stillen: Lageeinschätzung, Geheimdiensttätigkeit, Ausarbeitung von Konzepten und Plänen, die sich immer wieder der veränderten Welt- und regionalen Lage anpassen mussten. Die westlichen Regierungen im einzelnen oder als Verbund versuchten, Einfluss zu gewinnen und bestehenden Einfluss wirksam einzusetzen zur Umsetzung der wirtschaftlichen Interessen. Denn auch Machtpolitik ist nicht Politik um der Macht willen sondern dient einem Ziel. Dieses Ziel ist der wirtschaftliche Vorteil, denn nur der zahlt sich wirklich aus, wobei hier nicht die übertragene sondern die ursprüngliche, rein wirtschaftliche Bedeutung dieses Begriffes gemeint ist. Machtpolitik um der reinen Macht willen, ist eine Vorstellung von Intellektuellen. Das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.

Natürlich hat es immer vonseiten westlicher Staaten Versuche gegeben, mit verdeckten Operationen in Syrien, Irak, Libyen, Irak und vielen anderen Staaten der Welt veränderte politische Bedingungen zu erreichen, die Regierungen hervorbrachten, die den Interessen des Westens wirtschaftlich mehr entgegen kamen. Weltbekannte Beispiele sind unter vielen anderen der Putsch im Iran gegen Mossadeg, der 1953 mithilfe der CIA durch den prowestlichen Schah ersetzt wurde, oder die Absetzung der Volkfront-Regierung unter Allende 1973 in Chile. Natürlich haben auch immer Geheimdienste und Thinktanks im Hintergrund Informationen erarbeitet und zu Einsatzplänen für politisches oder auch militärisches Vorgehen verarbeitet für den Fall, dass günstige Situationen eintreten oder geschaffen werden könnten, die verbesserte Bedingungen boten für die Umsetzung der eigenen Interessen.

Diese günstigen Bedingungen hatten sich eingestellt mit dem Zusammenbruch der UdSSR und dem Sozialismus weltweit. Es gab keine militärische Macht mehr, die den Westen, besonders die USA an der Umsetzung ihrer Pläne hindern konnte. Fast alle Staaten des früheren Warschauer Paktes wurden Teil des westlichen Wirtschaftsraumes, in dem dem Walten der Investoren so gut wie keine Schranken mehr gesetzt waren. Unter den Bomben der NATO zerbrachen in den 1990er Jahren in Jugoslawien die sozialistische Ordnung und der staatliche Zusammenhalt.

Und mit dem 11. September war der Startschuss gefallen für den Versuch der Neuordnung in anderen Teilen der Welt. Afghanistan wurde angegriffen und vor allem der Irak. An beiden wurde aber auch deutlich, dass diese Neuordnung durch nation-building und regime-change nicht so einfach war, wie die intellektuellen Planer sich das vorgestellt hatten. Die Einsätze wurden teuer und selbst die relativ geringen Verluste in den eigenen Reihen führten zu einer zunehmenden Ablehnung der Kriege in der eigenen Bevölkerung. An einen massiven Einsatz von Bodentruppen wie während des Vietnamkrieges war nicht mehr zu denken angesichts der zu erwartenden Opfer.

Damit ging der angestrebten Neuordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse das Personal aus, das bereit war, für die wirtschaftlichen Interessen von Investoren das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Mit dem arabischen Frühling aber boten sich plötzlich neue Möglichkeiten. Im Falle von Ägypten war der Westen von dieser Entwicklung nicht sehr begeistert, denn Mubarak war der Garant der westlichen Interessen in Ägypten, militärisch und vor allem auch wirtschaftlich.

Als aber dann auch in Libyen und Syrien Teile der Bevölkerung gegen die herrschenden Regierungen protestierten, sah man im Westen die Gelegenheit gekommen, auf die man schon lange gewartet und auch hingearbeitet hatte. Man unterstützte diese Bewegungen anfangs politisch, dann aber auch immer mehr militärisch, als militärische Unterstützung angebracht und vor allem auch erfolgversprechend war für die Erlangung der eigenen Ziele. Denn in den Aufstandsbewegungen hatte man nun endlich das Bodenpersonal, das für die eigenen Ziele eingesetzt werden konnte.

Und diese Ziele hießen regime-change. Neue Regierungen sollten sich bilden, die aufgrund der Unterstützung, die sie vom Westen in ihrem Unabhängigkeitskampf erfahren hatten, auch unter dessen Einfluss stehen würden. Regierungen, die aufgrund der Zerstörungen im Land auf die Hilfe westlicher Investoren angewiesen waren. Regierungen, die aufgrund von guten Staatseinnahmen oder geringer Staatsverschuldung auch über das notwendige finanzielle Potential verfügten, um für Investoren interessant zu sein.

Und deshalb soll Assad fallen, damit der Weg frei wird zur Nutzung des syrischen Wirtschaftspotentials, nicht nach den Vorstellungen des syrischen Volkes über die Entwicklung seiner Wirtschaft als Lebensgrundlage für die syrische Gesellschaft sondern nach den Bedingungen der Investoren. Aber mit Menschenrechten hat das nichts zu tun, nur mit Interessen.

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